«Dass sich die Symbiose zwischen Corporates und Startups einstellt, ist nicht ganz so einfach.»

Martin Tschopp, Leiter Unternehmensentwicklung bei Helvetia Versicherungen.

Wann und wie bist du mit Flatfox in Kontakt gekommen?

Eine Person aus der Immobilienabteilung erfuhr über Social Media von Flatfox und parallel dazu kam ein Mitglied aus meinem Team mit Flatfox in Kontakt. Wir kamen zum Schluss: das ist interessant für uns. Wir haben ein Immobilienportfolio mit ca. 16'000 Mietobjekten und das Interesse, die Objekte möglichst gut zu vermieten. Wir sahen Optimierungsmöglichkeiten beim Vermietungsprozess und haben mit Flatfox ein Pilotprojekt gestartet. Schliesslich hat sich der Helvetia Venture Fund an Flatfox beteiligt.

Was gab den Ausschlag, euch bei Flatfox zu beteiligen? Die Kundenbeziehung war zu diesem Zeitpunkt ja bereits ein Jahr alt.

Über den Helvetia Venture Fund wollen wir lernen, welche relevanten Entwicklungen es in der Startup Szene gibt. Wir investieren in Jungunternehmen die eine Brücke zum Kerngeschäft der Versicherung haben. Die Immobilien widerspiegeln mit ca. 15% einen bedeutenden Teil unseres Anlageportfolios. Umso besser die Mietobjekte ausgelastet sind, desto höhere Renditen erwirtschaften wir. Zudem nimmt Flatfox eine relevante Position in dem von uns betriebenen Ökosystem rund um das Thema Wohnen ein. Beides waren Voraussetzungen für unsere Beteiligung. Der Venture Fund investiert in Startups, die ein marktfähiges Produkt und ein skalierbares Geschäftsmodell haben. Wir treten also nicht als Angel- oder Seed-Investor auf und streben in der Regel eine Minderheitsbeteiligung an. Die Zusammenarbeit zwischen Startup und Helvetia bringt Vorteile auf beiden Seiten. Helvetia kann Produkte und Prozesse in der Versicherung optimieren. Das Startup kann dadurch sein Geschäftsvolumen steigern und aus der Praxis lernen, was am Ende seinen Wert mehrt.

Wo habt ihr denn bei Flatfox den konkreten Mehrwert gesehen was das Produkt anbelangt?

Bei Flatfox steht das Kundenerlebnis im Zentrum. Unsere Vermietungsprozesse waren kompliziert und händisch. Flatfox hat einen digitalisierten Prozess dargestellt, der den Kunden ins Zentrum stellt und nicht die internen Abläufe Immobilienbewirtschaftung, was auf beiden Seiten Vorteile bringt. Dieser Ansatz war ein wesentlicher Grund für unser Engagement an Flatfox.

Hat sich dieser Mehrwert bis jetzt schon ausgezahlt?

Den Mehrwert kann auf verschiedene Arten gemessen werden. Zum Beispiel in der Zufriedenheit der MieterInnen, aber auch in der Leerstandsquote unserer Mietobjekte. Wir haben Renditeobjekte, die in der Regel an guten Orten liegen, wir haben aber auch Immobilien an B- und C-Lagen, wo die Leerstandsquote durch einen effizienten und einfachen Prozess optimiert werden kann. Dieser Mehrwert hat sich mit Flatfox klar etabliert. Neu haben wir zudem die Mietkautionsversicherung in den digitalen Vermietungsprozess integriert, die mit One-Click gekauft werden kann. Die Mietkaution ist für MieterInnen ein notwendiges Übel, das nun einfach erledigt werden kann. Der daraus folgende Mehrwert ist schwer quantifizierbar, macht das Angebot über Flatfox aber sicher attraktiver.

Auf welche Bereiche fokussiert ihr euch bei euren Investments mit dem Helvetia Venture Fund?

Pro Jahr schauen wir uns etwa 500 bis 600 Investitionsmöglichkeiten an, das sind mehr als zwei pro Arbeitstag. Der Fokus liegt ganz klar auf FinTech, InsurTech und PropTech. Aber auch das Thema Mobilität ist für uns wichtig. Geografisch fokussieren wir uns auf Investments weitgehend in unseren bestehenden Kernmärkten in Europa. Wir haben in einer Fonds-Struktur Geld zur Verfügung gestellt, ca. 55 Mio. CHF. Die Idee war, ein sich selbst finanzierendes Vehikel aufzubauen. Und nach fünf Jahren durch Exits den gleichen Betrag wieder zurückzuerhalten. Aber noch einmal: es ist ein Ziel, diesen finanziellen Mehrwert zu erreichen. Die primäre Absicht ist das Lernen von Jungunternehmen und die Optimierung in unserem Kerngeschäft.

Moneypark war eines der grössten Investments im Bereich PropTech. Wo steht ihr mit Moneypark?

Mit Moneypark sind wir auf einem sehr guten Weg. Moneypark transformiert den noch sehr traditionell aufgestellten Schweizer Hypothekarmarkt. Der Markt für selbstbewohntes Wohneigentum ist ca. 800 Milliarden gross. Von diesem Markt kommen pro Jahr ca. 10% zur Refinanzierung an den Markt. Was das Neugeschäft betrifft, ist Moneypark bereits die Nummer zwei nach der Raiffeisen. Moneypark hat das letzte Jahr erstmals über drei Milliarden Hypotheken geschrieben und seit Beginn fast 100'000 Kundenanfragen bearbeitet. Auch bei Moneypark steht die Convenience im Vordergrund. Moneypark ist unabhängiger Berater in der Finanzierung und in der Vorsorge. Die persönliche Beratung der Kundenberaterin oder des Kundenberaters in der Filiale vor Ort wird durch digitale Tools während des ganzen Prozesses unterstützt, was ein differenzierendes Kundenerlebnis bietet.

«Moneypark transformiert den noch sehr traditionell aufgestellten Schweizer Hypothekarmarkt.»

Ihr bietet ja auch mit Helvetia Hypotheken an, bei Moneypark seid ihr Mehrheitsinvestor. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?

Moneypark ist eine unabhängige Gesellschaft, bei der wir Mehrheitseigner sind. Uns gehören 82% der Firma. Als Finanzierungsberater muss man unabhängig sein, sonst fehlt die Glaubwürdigkeit. Deswegen agiert Moneypark nicht nur unter eigener Marke, sondern entscheidet weiterhin ausschliesslich mit dem Kunden und ohne jede Vorgabe von uns, welcher Hypothekenanbieter zum Zuge kommt. Zudem sind wir auch Produktlieferant. Moneypark vertreibt auch für Helvetia Hypotheken. Wenn Helvetia mit ihrem Angebot zum Zug kommen will, muss sie besser als die Konkurrenz sein. Das Thema Unabhängigkeit wird immer wichtiger, auch in unserem Kerngeschäft. Wir müssen nicht mehr alle Produkte selber machen. Automobilhersteller haben auch nur eine Fertigungstiefe von ca. 20%. Das heisst, sie kaufen 80% zu. Bei den Versicherungen ist es umgekehrt. Das ist nicht zukunftsträchtig. Da wird sich die Wertschöpfungskette beginnen aufzuteilen. Es wird Nischenanbieter geben, die auf ihren Themen sehr gut sind. Ein gutes Beispiel dafür ist BlackRock mit ihren Indexfonds.

Das führt uns gleich zum nächsten Thema. Die Versicherungsbranche ist in Bewegung. Wie nimmst du das wahr?

Sehr unterschiedlich. In der Schweiz gibt es Bewegung, die ist jedoch erst in den Anfängen. Zum Beispiel hat die Swiss-Re-Tochter iptiQ mit der Ikea eine Hausratversicherung lanciert und One Insurance steigt in den Markt ein. Diese Bewegung ist aber noch nicht materiell. Nehmen wir das Beispiel Motorfahrzeugversicherung, ein lukratives Geschäft. Der Markt für Motorfahrzeugversicherungen ist im Jahr 2019 das erste Mal leicht geschrumpft. Die Menschen mieten häufiger Autos, Stichwort Sharing Economy. Dadurch kommen die Preise für Versicherungen vermehrt unter Druck. Wir haben da eine Antwort darauf: unsere Direktversicherung Smile orientiert sich an Galaxus, Digitec, Google und Netflix und nicht an einer traditionellen Versicherung. Die Zukunft sind Abonnementsmodelle mit einer hohen Flexibilität. Die Kunden binden wir über eine gute Dienstleistung an uns, nicht über einen langfristigen Vertrag. Smile hat letztes Jahr drei Innovationspreise gewonnen und ist in der Schweiz klar der Trendsetter was digitale Versicherungen anbelangt. In Europa sind wir damit, was Innovation betrifft gut dabei, aber was den angelsächsischen Markt betrifft, liegt noch ein weiter Weg vor uns.

Wir bei Flatfox nehmen wahr, dass insbesondere im Bereich der Immobilienplattformen sehr viel in Bewegung ist und auch andere Versicherungen einsteigen. Meinst du, da sind ähnliche Beweggründe dahinter wie bei Helvetia?

Ich denke schon. Bei Versicherungen, sowie bei Banken oder in der Industrie, es ist überall das Gleiche: man hat ein Kerngeschäft und dieses kommt irgendwann an den Zenit. Ein Stück weit kann man optimieren, aber irgendwann muss das Geschäft erweitert bzw. neu erfunden werden.

«Man hat ein Kerngeschäft und dieses kommt irgendwann an den Zenit. Ein Stück weit kann man optimieren, aber irgendwann muss das Geschäft erweitert bzw. neu erfunden werden.»

Ist denn aus deiner Sicht die Versicherungsbranche am Zenit angelangt?

Es ist schwierig, das allgemein zu sagen. Es gibt immer noch Bereiche, die wachsen. Allgemeiner gesagt: der Weg, wie man Versicherungen macht wird sich verändern. Die ganze Gesellschaft ist in einem Veränderungsprozess. Das Mobiltelefon ist zur Fernbedienung unseres Lebens geworden. Ich habe noch gelernt, ein Kurshandbuch der SBB zu lesen, mein Sohn kennt das nicht mehr. Dadurch hat sich auch die Erwartungshaltung der Menschen geändert. Alle wollen immer alles sofort verfügbar haben. Und alle möchten sich möglichst spät festlegen. Diesen Umständen können wir uns nicht entziehen. Wer ist heute bereit, einen 5-Jahres-Vertrag für eine Versicherung zu unterzeichnen? Heute ist das noch teilweise möglich, aber die nächsten Generationen haben andere Erwartungshaltungen, d.h. wir müssen uns jetzt für die Zukunft vorbereiten. Versicherungen wird es immer geben, die Risiken steigen eher, die Frage ist: wer hat den Kundenzugang. In Zukunft erwarte ich zum Beispiel in der Automobilindustrie ganz neue Mietmodelle, wo nicht mehr jeder ein Auto besitzt. Man mietet dann zum Beispiel Mobilität. Eine Kombination von Zug, Tram und Auto mit flexiblen und skalierbaren Modellen. Das ist der Grund, warum sich Versicherungen im Moment diversifizieren und neue Geschäftsmodelle suchen. Wir müssen unseren Weg finden für die Zukunft. Da gibt es nicht den Königsweg. Unser Weg geht über das Ökosystem Home, die digitalen Versicherungen mit Smile und über das Thema Vorsorge, das auch wieder mit Moneypark zusammenhängt.

Ist es für euch ein Vorteil, dass ihr schon 160 Jahre alt sind und ein gewisses Vertrauen geniesst in der Bevölkerung?

Das hilft, da wir dadurch die Substanz haben uns auf die Zukunft vorzubereiten. Wir müssen gleichzeitig das traditionelle Kerngeschäft transformieren und parallel dazu zukunftsweisende Geschäftsmodelle entwickeln. Die Parallelität ist wichtig und herausfordernd, da Geschwindigkeit, Kulturen, Fähigkeiten etc. zwischen den Bereichen völlig unterschiedlich sind.

«Wir müssen gleichzeitig das traditionelle Kerngeschäft transformieren und parallel dazu zukunftsweisende Geschäftsmodelle entwickeln.»

Profitiert ihr auch in dieser Hinsicht von der Zusammenarbeit mit den Startups?

Unbedingt. Die Führung ist aber manchmal schwierig. Ich muss oft zwischen den Bereichen vermitteln. Da werden übertrieben gesagt zwei unterschiedliche Sprachen gesprochen. Beide haben eine sehr wichtige Daseinsberechtigung. Die Startups können nicht den gleichen Gewinn produzieren wie unser Kerngeschäft. Aber trotzdem müssen sie das Kerngeschäft verändern. Dass sich diese Symbiose einstellt ist nicht ganz so einfach. Ich sehe meine Rolle darin, diese Parallelwelten am Laufen zu halten. Das braucht Fingerspitzengefühl, manchmal aber auch sehr klare Ansagen.

Zu deinem persönlichen Werdegang: Du warst in vielen grossen Firmen tätig. Was treibt dich an?

Ich war in meiner Laufbahn zur Hälfte in der Unternehmensberatung tätig und zur Hälfte in Linienfunktionen bei Finanzdienstleistern. Was mich immer antrieb, egal wo ich war, war die Herausforderung. Mir wird es sonst sehr schnell langweilig. Ich baue gerne Brücken, vermittle gerne und entwickle gerne Geschäftsmodelle. Ich war schon immer ein unternehmerischer Typ. Herausforderung ist meine Motivation.

Trotzdem warst du immer in grossen Unternehmungen angestellt. Könntest du dir auch vorstellen, ein Startup zu gründen?

Ich komme mit sehr vielen Startups in Kontakt. Ich hatte auch schon Ideen. Allerdings hatte ich bis jetzt in diesen Corporate Anstellungen immer genug Spass, dass es keinen Grund gab, an der Situation etwas zu ändern. Momentan bewege ich mich in beiden Welten, in der der Startups und in der Corporate Welt. So lange das so bleibt, ist es gut für mich. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, mich an Startups zu beteiligen oder Startups beratend zur Seite zu stehen. Bei Moneypark zum Beispiel, als Verwaltungsratspräsident, bin ich bereits in einer beratenden Rolle. Ich versuche zu helfen, berate bei der Strategie, bei der Vernetzung in der Wirtschaft, aber in das operative Geschäft greife ich nicht ein. Man muss da auch eine gewisse Balance finden und das ist nicht immer ganz einfach. Aber es macht mir sehr viel Spass. Die Herausforderung, die mich im Moment antreibt und mir grosse Freude bereitet, ist, das Kerngeschäft von Helvetia weiter voranzutreiben, und parallel neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Das bestehende Geschäft finanziert ja die Innovation. Das alte Geschäft bringt finanzielle Mittel, aber auch Ressourcen und Personen, damit das neue Geschäft wachsen kann. Das Kerngeschäft ist wie ein alter Baum, der Schatten gibt. Wenn ich das neue Pflänzchen zu nahe am alten Baum setze, dann kann es nicht gedeihen. D.h. es muss eine gewisse Distanz haben. Die Natur gibt es uns vor. Als Menschen und als Gesellschaft müssen wir offener werden in dieser Hinsicht.

Vielen Dank für das angenehme Gespräch Martin und viel Erfolg.